Management

Wenn Arbeits- und Gesundheitsschutz mehr ist als Helme und Handschuhe

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Claudia Furger

Lesedauer

ca. 5 Minuten

Die ISO 45001:2018 wird oft mit Industrie- oder Bauunternehmen und dem Schutz vor gefährlichen Maschinen in Verbindung gebracht. Daniela Merz, Geschäftsführerin der Plus34 AG, zeigt, dass die Norm auch in anderen Branchen wichtig ist. Sie nutzt den Standard, um Verantwortung, Respekt und Fürsorge für Menschen zu fördern und damit einen Rahmen zu schaffen, in dem Sicherheit und Unternehmenskultur zusammenwirken.

Ein kurzer Moment der Unachtsamkeit. Ein Funke fliegt im schrägen Winkel – schon brennt sich die Hitze durch den Ärmel und hinterlässt eine Brandwunde. In der Holzwerkstatt surrt die Fräse, ein Ausrutscher und die Hand streift die scharfe Kante. Und dann sind da noch die Kabel, achtlos über den Boden gespannt. Ein falscher Schritt, ein Sturz, der schnell schwerwiegende Folgen haben kann.  

 

Sicherheit in einem vielfältigen Arbeitsumfeld 

Solche Risiken sind in den Betrieben der Plus34 AG allgegenwärtig. Daniela Merz kennt sie genau. Und sie tut alles dafür, dass den rund 2’000 Mitarbeitenden nichts passiert. Seit über 20 Jahren ist sie als CEO und Sicherheitsbeauftragte Teil der Organisation. Die Plus34 AG ist dabei ein Arbeitgeber, aber auch ein Ort der Perspektive, der Integration und der Teilhabe. Denn die Organisation sowie ihre angeschlossenen Trägerschaften geben Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt nicht Fuss fassen können, eine zweite Chance. An 25 Standorten schaffen sie Arbeitsplätze, die Wege zurück ins Berufsleben und in einen strukturierten Alltag eröffnen sollen. «Bei uns arbeiten Menschen mit den unterschiedlichsten Lebensläufen», erzählt Daniela Merz. 

Daniela Merz

Zur Person

Daniela Merz ist CEO und Sicherheitsbeauftragte der Plus34 AG mit Sitz in St. Gallen. Das Unternehmen ist Teil der Stiftung für Arbeit und übernimmt die strategische und organisatorische Verantwortung innerhalb des Verbundes. Sie stellt zentrale Dienste wie Finanzen, Personal, Administration, IT, Qualitätsmanagement und Kommunikation für die angeschlossenen Betriebe bereit.

«Sie sprechen verschiedene Sprachen, kommen aus verschiedenen Ländern und treffen alle bei uns aufeinander». Sei es in der Schreinerei, in der Gastro Factory oder in den industriellen Handarbeitswerkstätten. Diese Vielseitigkeit ist eine Stärke, stellt die Arbeits- und Gesundheitssicherheit aber auch vor besondere Probleme. «Eine SUVA-Checkliste an die Wand zu pinnen, reicht hier nicht», sagt Merz. «Vielleicht wird die Information gar nicht gelesen. Und wenn doch, wird sie möglicherweise nicht verstanden». Der Schutz der Mitarbeitenden müsse deshalb anders gestaltet werden: aktiv, anschaulich, für alle verständlich und vor allem mit System. 

 

Vom belächelten Plan zur Sicherheitskultur 

Aus diesem Grund setzt die Plus34 AG auf die ISO 45001:2018. «Ich bin eine grosse Verfechterin von Normen», sagt Daniela Merz. Da der Betrieb bereits seit über 15 Jahren nach ISO 9001 zertifiziert ist, lag es für sie nahe, auch die Norm für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz einzuführen. Dass dieser Standard häufig mit Industrie- oder Bauunternehmen in Verbindung gebracht wird, schreckte Merz nicht ab. Im Gegenteil. «Ich wurde von externen Stellen ausgelacht, als ich sagte, wir würden die ISO 45001 umsetzen. Das sei doch nichts für eine Organisation für Arbeitsintegration.» Ihre Antwort: Doch. 

Denn Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz sind für Daniela Merz mehr als Helme, Handschuhe und Warnschilder. «Natürlich braucht es das», sagt sie. Man müsse sicherstellen, dass sich beim Staplerfahren oder beim Fräsen von Holzbrettern niemand verletzt – zumal viele Mitarbeitende mit diesen Tätigkeiten nicht vertraut sind und von Fachpersonen erst angelernt werden müssen.  

 

Rücksicht und Respekt als Teil der Sicherheitskultur 

«Bei uns geht es aber nicht nur um den Schutz vor potenziell gefährlichen Geräten, Maschinen oder Chemikalien oder um die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben nach OR, UVG oder ArG», betont Merz. «Wir tragen Verantwortung für Menschen, die oft in sehr schwierigen Lebenssituationen stecken.» Neben dem physischen Schutz wolle man ihnen auch psychische Sicherheit bieten. Es gehe darum, den Menschen mit Würde zu begegnen und ihnen einen Raum zu geben, in dem sie sich entwickeln und Eigenverantwortung übernehmen können – ohne Angst und ohne Hürden. Auch das sei ein wichtiger Teil des Gesundheitsschutzes. 

Damit meint Merz Fragen wie: Darf man einen Mitarbeitenden mit der Aufgabe betrauen, abgelaufene Pakete mit Reis zu entsorgen, wenn er aus einem Land kommt, in dem viele Hunger leiden? Oder kann ein Kriegsflüchtling einen Auftrag aus der Waffenindustrie übernehmen? Für Daniela Merz sind das keine Nebenschauplätze, sondern zentrale Fragen, um eine sichere, gesunde und nachhaltige Arbeitsumgebung zu schaffen. «Die ISO 45001 hilft, unsere Haltung verbindlich zu machen», sagt sie. Sie fördere eine Kultur, in der gegenseitige Rücksichtnahme, Respekt und Vertrauen genauso wichtig sind wie Schutzbrillen und Sicherheitsschuhe.  

 

Diese 4 Massnahmen stärken die persönlichen Ressourcen der Mitarbeitenden

Quelle: SUVA

 

Ein System, das funktioniert, weil die Menschen es verstehen

Um die ISO 45001 möglichst passgenau für die Plus34 AG und ihre Betriebe umzusetzen, entwickelte die Organisation eine eigene Qualitätssoftware, die das Gesamtpaket rund um das Thema Sicherheit- und Gesundheitsschutz abdeckt. Eine Arbeitsplatzanalyse wird dabei genauso erfasst wie der Sicherheitskompetenznachweis jedes einzelnen Mitarbeitenden. Ein zentrales Kriterium bei der Entwicklung war: Die Applikation und die daraus entwickelten Tools müssen praxistauglich und einfach umsetzbar und verständlich für alle sein. «Sonst besteht die Gefahr, dass das Ganze schnell zum «Papiertiger» wird und im Alltag untergeht», erklärt Merz. Zum Glück sei das aber nicht der Fall. Zwei Beispiele: Bei der Montage einer neuen Leuchte verzichten Mitarbeitende auf waghalsige Improvisationen und fahren lieber 30 Minuten, um eine passende Leiter zu holen. Oder bei einem Rundgang weist ein Mitarbeitender darauf hin, dass Daniela Merz’ Schuhbändel offen sind und sie stolpern könnte. Für Merz sind das die besten Zeichen dafür, dass die Sicherheitskultur tatsächlich gelebt wird. Dass die ISO 45001 mehr ist als ein Regelwerk, und dass Mitarbeitende lernen, Verantwortung nicht nur für sich selbst, sondern auch füreinander zu übernehmen. 

 

Messbarer Erfolg mit Vorbildcharakter

Was im Alltag spürbar ist, lässt sich auch in Zahlen belegen: Bereits im ersten Jahr nach Einführung der ISO 45001 konnte die Plus34 AG die Zahl der Betriebs- und Nichtbetriebsunfälle um gut die Hälfte reduzieren. Für Daniela Merz ist das nicht nur ein Erfolg in Bezug auf die gelebte Verantwortung gegenüber den Mitarbeitenden, sondern auch ein wirtschaftlich relevanter Faktor. Denn Unfälle oder krankheitsbedingte Ausfälle können ein Unternehmen erheblich belasten – etwa durch Lohnfortzahlungen, den Aufwand für die Einarbeitung von Ersatzkräften oder steigende Versicherungsprämien. Für Merz steht deshalb fest: Die Entscheidung für die ISO 45001 war richtig und ein Beweis dafür, dass sich dieser Standard auch für Organisationen ausserhalb von Industrie und Bau bestens eignet. 

 

Quelle: EKAS

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