Management

«Das Potenzial der Kreislaufwirtschaft ist riesig»

alex.gertschen@sqs.ch

Alex Gertschen

Veröffentlicht am: 04.05.2023

Lesedauer

ca. 4 Minuten

Patrick Semadeni führt einen Plastikverpackungsproduzenten. Zugleich engagiert er sich für die Nachhaltigkeit. Semadeni plädiert für unternehmerischen Freiraum. Zugleich findet er, der Staat müsse gegebenenfalls sehr wohl eingreifen. Darüber, dass dies nur vermeintliche Widersprüche sind, hat er am Lebensmitteltag 2023 gesprochen – und im Interview mit der SQS.

Plastikverpackungen schützen Lebensmittel und belasten zugleich die Umwelt. Sind sie also ein Beispiel dafür, wie herausfordernd eine nachhaltige Wirtschaft ist? Denn eine solche erfüllt hohe ökonomische, ökologische und soziale Anforderungen zugleich. 

Patrick Semadeni treibt diese Frage tagtäglich um. Er führt die Semadeni Plastics Group mit Sitz in Ostermundigen bei Bern. Als Vizepräsident von KUNSTSTOFF.swiss ist er beim Dachverband der hiesigen Kunststoffindustrie für die Nachhaltigkeit zuständig. Am Lebensmitteltag 2023 hat er zu diesem Thema ein Referat gehalten – und der SQS ein ausgiebiges Gespräch gewährt. 

Patrick Semadeni

Patrick Semadeni am Lebensmitteltag 2023
Bild: Nicolas Kyramarios, managevent.ch

Herr Semadeni, sind Plastikverpackungen ein Beispiel dafür, dass eine nachhaltige Wirtschaft mit schwer lösbaren Zielkonflikten verbunden ist? 

Wenn ich eine Systembetrachtung vornehme, sehe ich keinen Konflikt. In diesem System hat die Verpackung die Funktion, ein Füllgut zu schützen. Der Umweltfussabdruck des Füllgutes ist meist grösser als jener der Verpackung. Wenn diese also dazu beiträgt, dass das Füllgut – zum Beispiel ein Lebensmittel – nicht verdirbt, kommt dies auch der Umwelt zugute. Die Verpackung hat noch weitere Funktionen, die im Sinne der Nachhaltigkeit sind. 

 

Welche? 

Sie kann beispielsweise auch als Dosierungshilfe dienen. Wenn ein Füllgut nicht übermässig verwendet oder verschüttet wird, weil die Verpackung die richtige Dosierung ermöglicht, hat dies Vorteile für die Menschen und die Umwelt. Eine ähnliche Wirkung hat die Verpackung, indem sie als Informationsträgerin dient. In einer Systembetrachtung gibt es den erwähnten Zielkonflikt also nicht. 

 

Plastik ist für die Umwelt aber ein grosses Problem. 

Nur, wenn es den Stoff- und Materialkreislauf verlässt. Deshalb setze ich mich stark für die Kreislaufwirtschaft ein. Wir Unternehmen müssen mehr Verantwortung übernehmen und Eigeninitiative zeigen, um die Transformation von einer linearen zu einer zirkulären Wirtschaft voranzutreiben. Ein gutes Beispiel ist hierfür die Sammlung 2025 von Swiss Recycling, dem Dachverband der Recycling-Organisationen. 

 

Damit soll ein freiwilliges und national koordiniertes Sammelsystem geschaffen werden, das alle Akteure der Wertschöpfungskette einschliesst. 

Genau. Wichtig ist dabei auch die Erweiterte Produzentenverantwortung. Die Inverkehrbringer sollen für die Kosten der korrekten Verwertung aufkommen, beispielsweise für die Kosten der Sammlung, wie wir das bei den PET-Getränkeflaschen schon kennen. Sie bedeutet weiter, dass wir bereits beim Design die Wiederverwertbarkeit der Produkte ermöglichen und erleichtern müssen. So können wir viel effizienter und effektiver recyclen. Deshalb hat die Schweizer Allianz «Design for Recycling» entsprechende Richtlinien für die Industrie erarbeitet. Wir haben noch viel Luft nach oben. 

 

Was heisst das konkret? 

Das Potenzial der Kreislaufwirtschaft im Bereich von Verpackungen ist riesig. Aktuell werden im Bereich der Kunststoffverpackungen nur gerade 70 000 Tonnen pro Jahr stofflich rezykliert. Das Meiste besteht aus PET-Getränkeflaschen. Gemäss einer Studie aus dem Jahr 2017 beträgt das gesamte Sammelpotenzial aber 225 000 Tonnen pro Jahr. 

 

Eigeninitiative allein reicht nicht aus. 

Das ist so. Der Staat und die Politik müssen rechtliche Rahmenbedingungen schaffen, die Freiräume zulassen. Die Wirtschaft soll diese Freiräume mit ambitionierten Initiativen ausfüllen. Ansonsten muss eine staatliche Regulierung greifen. 

 

Das ist die Theorie. Sieht die Praxis nicht anders aus? 

Nicht unbedingt. Ein gutes Beispiel ist die Verordnung über Getränkeverpackungen von 1991. Diese setzte das Ziel einer Verwertungsquote von mindestens 75 Prozent. Das heisst, dass drei Viertel des Materials für die Produktion neuer Flaschen aus alten Flaschen gewonnen werden musste. Ansonsten würde eine Pfandpflicht eingeführt. Die Branche aber wollte kein Pfand! Deshalb organisierte sie sich und erreichte innerhalb nützlicher Frist die erforderliche Quote. Aktuell ist die Diskussion über das staatliche Abfallmonopol wichtig. Ich wünsche mir dessen Aufweichung, damit unternehmerische Freiräume für starke Branchenlösungen geschaffen werden. In der Sondersession des Nationalrats im Mai wird darüber im Rahmen der Revision des Umweltschutzgesetzes debattiert. Wir dürfen gespannt sein. 

 

Eine andere Form, staatlichen Zwang zu vermeiden, sind private Normen und Standards. 

Ich sehe sie eher als Ergänzung. Die Aufgabe der Gesetzgebung ist das «Was»: Was sind die grossen Zusammenhänge und die Ziele, die wir erreichen wollen? Normen und Standards befassen sich mit dem «Wie», damit, wie diese Ziele konkret erreicht werden können. Sie sollen Interpretationen und Handlungsanweisungen anbieten, wo das Gesetz oder die Verordnung es zulässt. Die Verwaltung hat die notwendige technische Detailkompetenz oft nicht. So hilft uns zum Beispiel die ISO 22000, die gesetzliche Anforderung des Gesundheitsschutzes des Konsumenten bei der Herstellung von Lebensmittelverpackungen zu erfüllen. Auf europäischer Ebene sind zurzeit verschiedene Standards zum Thema Recycling in Erarbeitung. Sie zeigen auf, wie die entsprechenden Vorgaben der Europäischen Kommission im Rahmen des Green Deals und den daraus entstandenen Richtlinien und Verordnungen umgesetzt werden sollen. 

 

Zu Beginn des Interviews haben Sie eine «Systembetrachtung» von Verpackung und Füllgut gefordert. Fördern Normen und Standards eine solche Betrachtung? 

Das ist eine schwierige Frage. In meiner Wahrnehmung regeln sie eher einzelne Aspekte. Die ISO 22000 zum Beispiel beschränkt sich auf Hygiene- und Sicherheitsaspekte. Ökologische Themen, wie sie eine Systembetrachtung erfordern würde, fehlen. Diese finden sich jedoch in anderen Normreihen. 

 

Die SQS empfiehlt deshalb integrierte Managementsysteme. 

Wir bei der Semadeni Plastics Group machen das tatsächlich! Wir sind bereits nach der ISO 9001 [Qualitätsmanagement], der ISO 22000 sowie der ISO 13485 [medizinaltechnische Produkte] zertifiziert. Nächstes Jahr wollen wir uns auch nach der ISO 14001 [Umweltmanagement] zertifizieren lassen. 

Wie Ihr Unternehmen besser verpackt: fünf Tipps von Patrick Semadeni 

  1. «Treffen Sie wissenschaftlich basierte Entscheidungen. Oft entscheiden Unternehmen auf öffentlichen oder politischen Druck hin. Insbesondere Kunststoff hat einen schlechten Ruf. Deshalb werden bisweilen komplexe Verpackungen wie Papierbeutel mit Sichtfenster aus Plastik hergestellt. Aus Monomaterial- werden so Verbundverpackungen. Diese sind aber weniger leicht zur rezyklieren als reiner Kunststoff – und deshalb weniger ökologisch. Ein anderes Beispiel ist die Frage, ob Einweg- oder Mehrwegverpackungen verwendet werden sollen. Für die meisten Menschen sind Letztere ökologischer. Das ist aber nicht immer so! Die Transportdistanzen, der Reinigungsaufwand, die Anzahl möglicher Verwendungszyklen spielen eine Rolle. Eine wissenschaftliche Lebenszyklusanalyse (Life Cycle Analysis) ermöglicht auch diesbezüglich den richtigen Entscheid.» 
  2. «Minimieren Sie den Materialeinsatz. Haben Sie den Mut, minimal einzupacken.» 
  3. «Bieten Sie grössere Verpackungsformate an. In der Regel können Sie mit 5 bis 15 Prozent mehr Verpackungsmaterial bis zu 50 Prozent mehr Füllgut verpacken.» 
  4. «Betreiben Sie ‹Design for Recycling›. Das bedeutet zum Beispiel, auf knallende Farben zu verzichten oder beim Rezyklat gewisse Qualitätsabweichungen zu akzeptieren. So ist die Verpackung vielleicht nicht mehr blütenweiss.» 
  5. «Informieren Sie die Kunden über die Verpackung. Aus welchem Material besteht sie, wo wurde sie produziert, wie wurde sie transportiert? Welches sind die Verwertungsoptionen am Ende ihres Lebens? Nur mit solchen Informationen können die Kunden verantwortungsvoll entscheiden.» 

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