Management

Wie die ISO 9001 mithilft, Leben zu retten

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Claudia Furger

Veröffentlicht am: 11.09.2025

Lesedauer

ca. 5 Minuten

Erfolgreiche Rettungseinsätze beruhen nicht nur auf engagierten Menschen vor Ort. Es braucht auch verlässlichen Strukturen im Hintergrund. Sie sorgen für Sicherheit, minimieren Risiken und ermöglichen dem Team, fokussiert und vorausschauend zu arbeiten. Igor Gazzani kennt beides: Über 17 Jahre führte er den Rettungsdienst Männedorf, heute steht er selbst wieder im Einsatz. Mit seinen Teamkolleginnen und -kollegen setzt er auf ISO 9001 und zeigt, wie wirksames Qualitätsmanagement Leben retten kann.

Der Rettungswagen fährt zügig vors Spital, stoppt, zwei Sanitäter steigen aus. Sie öffnen die Hecktüren, holen den Patienten auf der Trage aus dem Fahrzeug. Jeder Griff sitzt, jede Bewegung folgt einem eingespielten Ablauf. Die Kommunikation bleibt knapp, aber präzise. Ohne Hektik, doch mit Tempo bringen sie den Verletzten auf die Notfallstation. 

So schildert Igor Gazzani einen typischen Moment eines Rettungseinsatzes. Über 17 Jahre lang leitete er den Rettungsdienst, heute steht er selbst wieder als Dipl. Rettungssanitäter im Einsatz. Im Besprechungsraum des Standortes Meilen erzählt er von seiner Arbeit. Gleich nebenan prüfen zwei Kolleginnen und Kollegen den Medikamentenbestand, dokumentieren Abgaben und Ablaufdaten und gleichen Soll- mit Ist-Werte ab. Ein Raum weiter widmet sich ein anderer Sanitäter den administrativen Aufgaben seines Fachbereichs. An der Wand leuchtet ein grosser Flatscreen. Er zeigt in Echtzeit, welche Rettungsfahrzeuge im Einsatz sind, wo mit Stau zu rechnen ist und welche Spitäler derzeit freie Kapazitäten melden. Im Moment ist es ruhig am Standort Meilen. 

Gazzani Igor

Igor Gazzani ist Dipl. Rettungssanitäter und führte über 17 Jahre lang den Rettungsdienst Männedorf. Die ISO 9001 hilft ihm und seinen Teamkolleginnen und - kollegen im Rettungsalltag den Überblick zu behalten, gut zusammenzuarbeiten und sicherzustellen, dass alle wissen, was zu tun ist - gerade dann, wenn jede Minute zählt. 

Effizienz, die Leben rettet

«Maximal 15 Minuten nach dem Notruf müssen wir beim Patienten vor Ort sein», sagt Gazzani. Diese Regel basiert auf medizinischen Erkenntnissen und steigert besonders bei Herzstillstand oder schweren Verletzungen die Überlebenschancen. Um diese kritische Zeit einzuhalten, braucht es gut ausgebildete Sanitäterinnen und Sanitäter, eine funktionierende Infrastruktur, vollständige Medikamentenbestände, eine zuverlässige Fahrzeugflotte und gewartete Geräte. Und alles muss perfekt aufeinander abgestimmt sein. 

Diese hohe Qualität sichert der Rettungsdienst Männedorf mit seiner IVR-Zertifizierung – eine Vorgabe des Interverbands für Rettungswesen. «Diese IVR-Zertifizierung regelt unsere Kernaufgabe», sagt Igor Gazzani. Also die medizinische Grundversorgung in neun Gemeinden am rechten Zürichseeufer, von Hombrechtikon/Feldbach bis Küsnacht sowie Oetwil am See. Und das an 365 Tagen rund um die Uhr. «Sie regelt aber nur teilweise unsere internen Abläufe an unseren beiden Standorten», ergänzt Gazzani. Diese Abläufe seien aber genauso wichtig, damit die rund 40 Mitarbeitenden verlässlich, effizient und ruhig arbeiten können.

Dynamik braucht Struktur

Deshalb entschied sich das Team unter der Leitung von Gazzani bereits 2013 für die Einführung eines Qualitätsmanagementsystems nach ISO 9001. «Anfangs war das eine Herausforderung», erinnert er sich. «Es wirkte zunächst wie zusätzliche Bürokratie, und nicht alle im Team waren von den Veränderungen begeistert». Doch schon bald zeigte sich: Hinter dem System steckt mehr. Denn die Einführung des Qualitätsmanagementsystems brachte Klarheit und Sicherheit in viele Bereiche, die früher oft unkoordiniert neben dem anspruchsvollen Einsatzalltag liefen. «Heute ist der Rettungsdienst so organisiert, dass Prozesse reibungslos ineinandergreifen». Zuständigkeiten seien eindeutig geregelt, wodurch Aufgaben gezielt verteilt werden können. Missverständnisse kämen seltener vor, und die strukturierte Arbeitsweise erzeuge mehr Ruhe im Alltag.

Rettungsdienst Männedorf im Einsatz

Sicherheit und Qualität im Fokus

So verbesserte das Team zum Beispiel die Qualitätssicherung bei Medikamenten und medizinischen Produkten, sowohl in der Einsatzzentrale als auch in allen Einsatzfahrzeugen. Ein Beispiel: «Früher legte man vor jeder Schicht eine Handvoll Venflons, also Venenverweilkanülen, ins Sanitätsfahrzeug», erzählt Igor Gazzani. Die unteren wären dann oft unberührt geblieben, weil man stets nach den Oberen griff. Heute sei das anders: Es würden genau fünf Venflons bereitgelegt – nicht mehr und nicht weniger. So stelle man sicher, dass keine vergessen gehen und keine verfallen würden, sagt Gazzani. Denn im Einsatz bleibe keine Zeit, um Ablaufdaten zu prüfen. Man müsse sich darauf verlassen können, dass das Produkt verwendet werden kann.

Auch bei der Wartung der Fahrzeuge und Geräte hat sich viel verändert. Service- und Wartungsintervalle werden systematisch eingehalten und protokolliert. Defekte, sei es ein kaputter Blinker am Einsatzfahrzeug oder ein Problem am Defibrillator, werden sofort gemeldet und nachverfolgt. So erkennt das Team frühzeitig, ob Reparaturen zunehmen und eine Neuanschaffung nötig ist. 

«Die Einarbeitung neuer Mitarbeitender läuft heute ebenfalls effizienter und strukturierter ab», sagt Igor Gazzani. So werden die Sanitäterinnen und Sanitäter schneller einsatzbereit und können von Anfang an sicher arbeiten. «Gleichzeitig hat sich eine offene Fehlerkultur etabliert», ergänzt er. Das Team spreche darüber, was gut läuft und wo es noch besser werden kann. Ohne Schuldzuweisungen, dafür mit dem Ziel, sich kontinuierlich zu verbessern. Das habe die Kommunikation im Team offener gemacht, die Lernbereitschaft gesteigert und die Belastung im Einsatzalltag spürbar reduziert, sagt Gazzani. 

Flotte der neuen Rettungsfahrzeuge

Qualitätsentwicklung im Dialog

Das Team entwickelte die meisten Anpassungen selbst. Wertvolle Impulse kamen oder kommen bis heute aber auch durch die externen Audits der SQS. «Von diesem Austausch profitieren wir jedes Mal sehr», sagt Gazzani. Der frühere Auditor oder die heutige Auditorin bringe einen objektiven Blick von aussen mit und erkenne schnell mögliche blinde Flecken oder ungenutzte Potenziale, sagt er. Das schärfe den Blick für Details, die im Alltag leicht übersehen werden, und fördere gleichzeitig die Weiterentwicklung des gesamten Systems, sagt der Rettungssanitäter. 

Und wie führte man all diese Neuerungen ein? «Schritt für Schritt», meint Igor Gazzani. Wichtig sei gewesen, nicht alles auf einmal zu verändern, sondern behutsam vorzugehen und alle Mitarbeitenden mitzunehmen. «Wir haben regelmässig Sitzungen und Informationsrunden durchgeführt». Nur wenn verständlich ist, warum Veränderungen nötig sind, entsteht Akzeptanz. So wurde das ganze Team Teil des Qualitätsprozesses und merkte rasch, dass das neue System den Alltag erleichtert. Auch Skepsis sei anfangs da gewesen – das sei normal, sagt Gazzani. Man habe ihr mit Transparenz, offener Kommunikation und konkreten Beispielen aus der Praxis begegnet. Nicht Druck, sondern Dialog habe letztlich überzeugt. So wuchs nach und nach das Vertrauen in die Struktur und die Abläufe.

Zurück in Meilen. Es ist immer noch ruhig im Rettungsdienst-Stützpunkt unweit des Zürichsees. Kein Alarm, keine Hektik – nur das Summen der Monitore und das gelegentliche Klicken einer Tastatur. Doch jeder weiss: Wenn der Notruf kommt, sind alle bereit. Bereit, weil ein durchdachtes und gelebtes System dafür sorgt, dass unter Hochdruck nichts dem Zufall überlassen bleibt.

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