Management, Umweltanforderungen, Soziale Anforderungen

Fertig gebaut ist nie: Wie und wozu Implenia und Lazzarini ihre Managementsysteme integrieren

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Alex Gertschen

Veröffentlicht am: 26.09.2023

Lesedauer

ca. 7 Minuten

«IMS» steht bei Implenia für «Implenia Management System» – aber natürlich ebenso dafür, was die Abkürzung allgemein bedeutet: integrierte Managementsysteme. Auch die mittelständische Lazzarini AG ist im Bauwesen tätig. Die beiden SQS-Kunden erzählen, wie und mit welchem Erfolg sie Systeme gemäss ISO-Normen und anderen Regeln integrieren. Ihre Einsichten eröffnen Aussichten für weitere Verbesserungen – auch für Unternehmen ausserhalb der Branche. Denn fertig gebaut ist nie.

Baustelle Implenia Blog zu IMS

Von Daniela Meyer (Haupttext) und Walter Jäggi (Zweittext)

Es riecht nach feuchtem Beton und frischem Mörtel. Aus dem Nachbarsgebäude sind Hammerschläge zu hören, irgendwo prallen Metallstangen aufeinander. Die Baustelle im Zürcher Weinland gleicht vielen anderen Baustellen in der Schweiz. Verteilt auf drei Häuser entstehen hier 27 Eigentums- und 18 Mietwohnungen. Noch verfügen sie über keine Fenster und Türen; bezugsbereit sind sie erst in einem Jahr. Dennoch steht heute ein besonderer Termin an: Frau und Herr Schmid [Namen geändert, Anm. d. Red.] stehen zum ersten Mal in ihrer zukünftigen Wohnung. Dabei folgen sie Funda Sentürk, die sie schnellen Schrittes durch den Rohbau führt. In der Küche runzelt Frau Schmid die Stirn. Über dem Kochherd ist ein Lichtschalter vorgesehen. Er ist zwar an der Wand eingezeichnet, liegt aber auf der falschen Seite. Sentürk greift zum Handy und hält den Irrtum mit einem Schnappschuss fest. Vor dem Verlassen der Wohnung setzt Frau Schmid ihre Unterschrift unter eine Liste auf Sentürks Tablet, wo sämtliche Mängel festgehalten sind.

Funda Sentürk ist diplomierte Innenarchitektin und arbeitet als Käuferbetreuerin bei Implenia, einem der grössten Bau- und Immobiliendienstleister der Schweiz. Wer bei Implenia eine Wohnung im Stockwerkeigentum erwirbt, wird vom Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung bis zur Wohnungsübergabe von einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter der Abteilung Käuferbetreuung begleitet. Dabei stellt die Rohbauabnahme, die Frau und Herr Schmid soeben erleben durften, den dritten von fünf Meilensteinen dar.

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Ein fiktives Haus, das die Zusammenarbeit im Alltag regelt

Die Käuferbetreuung stehen exemplarisch für einen Prozess, der zu einer hohen Kundenzufriedenheit beitragen soll. Was nach einem selbstverständlichen Ziel eines dienstleistungsorientierten Unternehmens klingt, ist viel mehr: Die in der Baubranche weit verbreitete ISO-Norm 9001 für Qualitätsmanagement verfolgt eine nachhaltige Kundenzufriedenheit und fordert in diesem Zusammenhang eine kontinuierliche Wissenspflege. Ein risikoorientiertes Management soll weiter dazu beitragen, Gefahren vorzubeugen und Chancen zu nutzen. Implenia zählt zu jenen Unternehmen der Schweizer Baubranche, die sich sowohl nach der ISO 9001 als auch der ISO 14001 (Umweltmanagement) und der ISO 45001 (Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit) ausrichten und diese Normen in einem integrierten Managementsystem verknüpfen.

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Implenia bezeichnet ihr integriertes Managementsystem als «Implenia Management System» (IMS) und hat ihm auch eine visuelle Form gegeben: das sogenannte «IMS-Haus». Unter einem Dach bestehend aus den grundlegenden Werten und Prinzipien von Implenia fasst das symbolische Haus drei Ebenen zusammen:

  1. Zuoberst stehen die Führungsprozesse, die dafür sorgen, dass die Rollen und Zuständigkeiten der Mitarbeitenden klar festgelegt werden. Zudem werden hier das Geschäftsmodell und die Strategie definiert. Das heisst, wie und mit welchen Produkten und Dienstleistungen die Firma ihr Geld verdient.
  2.  Auf der mittleren Ebene folgt der Bereich mit den wertschöpfenden Prozessen, den sogenannten Kernprozessen. Sie halten im Detail fest, wie Implenia ihre Projekte abwickelt. Sie unterscheiden sich beispielsweise abhängig davon, ob es sich um ein Hoch- oder ein Tiefbauprojekt handelt.
  3. Auf der untersten Ebene, unterhalb der Kernprozesse, finden sich die Unterstützungsprozesse. Wie ihr Name sagt, bieten sie Unterstützung für die Kernprozesse, damit diese effizient und effektiv ablaufen können. Dieses gesamtheitliche Prozesssystem bildet die Basis für die Zusammenarbeit der mit unterschiedlichen Rollen ausgestatteten Beteiligten innerhalb der gesamten Firma. Es sorgt für die Sicherung von Wissen und ist Ausgangspunkt für kontinuierliche Verbesserungen.

Ray Bertschler, Global Head Quality bei Implenia, erwartet nicht, dass die Mitarbeitenden die drei ISO-Normen im Detail kennen, auf denen das IMS basiert. «Viel wichtiger ist es, dass sie wissen, was von ihnen bei der täglichen Arbeit verlangt wird. Dazu benötigen wir Strukturen, die die Zusammenarbeit regeln.» Der Prozess der Käuferbetreuung ist ein typisches Beispiel dafür. Nebst vielen weiteren Teilprozessen sind die einzelnen Meilensteine der Käuferbetreuung im Prozessportal des IMS festgehalten. Dabei handelt es sich um ein Arbeitsinstrument, das von den Mitarbeitenden täglich benutzt wird. Hier sehen sie, wann welche Arbeitsschritte anstehen, und finden Vorlagen für deren Ausführung. Auch nach einer regelmässigen Überprüfung der einzelnen Prozesse verlangt das System. So müssen die Teams beispielsweise ein Kundenfeedback einholen und diese Rückmeldungen einmal pro Quartal analysieren, um Verbesserungspotenzial zu erkennen.

Kundenerlebnis und Risikominimierung

Einem Verbesserungsprozess ist es zu verdanken, dass Implenia über eine eigene Abteilung verfügt, die sich um die Käuferbetreuung kümmert. Während es im IMS früher bloss den Prozess «Hochbauprojekte» gab und ein Projektleiter auch für die Betreuung der individuellen Käuferwünsche zuständig war, unterscheidet Implenia heute zwischen Projekten mit Stockwerkeigentum oder mit Mietwohnungen. Corinne Reimann leitet das Team Käuferbetreuung und erklärt, wie es zu dieser Unterscheidung kam: «Kauft jemand eine Wohnung, um selbst darin zu wohnen, sind die Ansprüche sehr hoch und die Betreuung erfordert viel Zeit. Dazu kam die wachsende Nachfrage nach Stockwerkeigentum.» Aus diesen Gründen wurde die Projektabwicklung angepasst, 2007 entstand die neue Abteilung.

Schweizweit sind inzwischen acht Mitarbeitende in der Käuferbetreuung tätig. Vor rund 5 Jahren erfolgte eine intensive Überprüfung des Prozesses, worauf dieser auf vielen Stufen verbessert wurde. Heute stellt die professionelle Betreuung der Stockwerkeigentümerinnen ein Qualitätsmerkmal von Implenia dar. «Während der Schlussphase sind unsere Mitarbeitenden regelmässig auf der Baustelle und kontrollieren die Qualität der Wohnungen stets aufs Neue. Mit Sperberaugen begutachten sie jede Ecke und erkennen mangelhafte Details, die einem Bau- oder Projektleiter, der das grosse Ganze im Blick haben muss, vielleicht nicht auffallen», erläutert Reimann die Aufgabe ihres Teams. So wird die Käuferbetreuung zur Advokatin der Bauherrschaft – und tut damit genau das, was die ISO-Norm 9001 verlangt: die Kundschaft in den Mittelpunkt stellen.

Die Anwesenheit der zukünftigen Stockwerkeigentümerinnen sorgt für die Gewissheit, dass individuelle Anpassungswünsche umgesetzt sind, und bietet der Kundschaft zudem ein besonderes Erlebnis. «Durch diese Nähe zum Kunden erhalten wir ein wertvolles direktes Feedback, das uns dabei hilft, unser System kontinuierlich zu verbessern und auf die Kundenbedürfnisse abzustimmen», so Ray Bertschler.

Doch die Rohbauabnahme in Begleitung der zukünftigen Bewohnerinnen und Bewohner bringt auch gewisse Risiken mit sich. Während dieser Phase begleitet die Käuferbetreuerin Funda Sentürk rund 27 Parteien durch die Baustelle im Zürcher Weinland. Bevor sie mit Frau und Herrn Schmid das Gelände betreten hat, händigte sie ihnen eine orange Warnweste und einen weissen Schutzhelm aus. Auch das Schuhwerk der Anwesenden hat sie überprüft. Dass dabei die Vorgaben der ISO-Norm 45001 umgesetzt wurden, war weder der Käuferbetreuerin noch der Kundschaft bewusst. Kenntnis haben sie hingegen von der Vereinbarung «Sicherheitsauflagen zum Baustellenbesuch». Das im IMS hinterlegte Dokument wird der Kundschaft jeweils vor der Rohbauabnahme ausgehändigt und informiert sie über deren Ablauf. Nur wer die darauf festgehaltenen Sicherheitsvorkehrungen kennt und entsprechend zum Termin erscheint, ist zur Begehung zugelassen. Früher kam es vor, dass die Stockwerkeigentümer in Flipflops, in Begleitung von Kleinkindern oder mit Hunden auf der Baustelle erschienen.

Reimann Corinne
Bertschler Ray

Corinne Reimann
Leiterin Käuferberatung & Leiterin Garantie, Implenia Schweiz AG

Ray Bertschler
Global Head Quality, Implenia Schweiz AG

Ökonomischer und ökologischer Nutzen der Standardisierung 

Während das Projekt im Zürcher Weinland dereinst 27 Einheiten umfassen wird, wurden im Frühling 2023 in Winterthur 82 neue Eigentumswohnungen bezogen. «Tender» heisst das Projekt im neuen Stadtteil Lokstadt, wo Implenia erstmals ein neues Vorgehen in Bezug auf den Innenausbau angewendet hat: Die Käufer konnten eine von drei Ausstattungslinien wählen, die wiederum mehrere Optionen in Bezug auf Materialien, Farben und Formen enthielten. Die gesamte Produktpalette dieser drei Linien war in einem Showroom in der neuen Überbauung ausgestellt. Dort konnten die Kundinnen die Produkte begutachten und bei Bedarf ausleihen, um sich in der zukünftigen Wohnung ein Bild davon zu machen, wie beispielsweise eine Platte im Badezimmer wirkt.

Corinne Reimann sieht in diesem neuen Prozess verschiedene Vorteile: «Die Definition von drei Ausstattungslinien vereinfacht für uns die Abläufe im Zusammenhang mit dem Innenausbau. Sie bietet aber auch einen Mehrwert für den Kunden, der nicht mehr verschiedene Ausstellungen besuchen muss, um sich Platten, Badezimmerarmaturen oder Parkettböden anzuschauen.» Stattdessen konnte sich die Kundschaft der Lokstadt vor Ort einen Überblick über die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten verschaffen. Insgesamt standen immer noch 24 Parkettvarianten, 22 Keramikplatten und drei Ausstattungsvarianten für die Badezimmer zur Verfügung. Aufgrund der Erfahrung und der Auswertungen, die Implenia während den letzten 10 Jahren vorgenommen hat, kennt die Firma die Vorlieben ihrer Kundschaft und kann mit drei Linien fast alle Bedürfnisse abdecken.

Mit der Standardisierung der Produktpalette und der Harmonisierung der Planungs- und Bauabläufe reduziert Implenia die Mängel und kann die Qualität des Endprodukts besser kontrollieren. Das gilt auch in Bezug auf die angestrebte CO2-Bilanz eines Gebäudes. Mit den drei Ausstattungslinien stellt die Firma nur Produkte zur Verfügung, die ihre Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. So sind zum Beispiel alle Parkettarten minergie-ECO-zertifiziert, und die Badezimmerarmaturen folgen gewissen Richtlinien, um den Wasserverbrauch zu reduzieren. Auch hinter dem Thema ökologische Nachhaltigkeit verbirgt sich eine ISO-Norm. Der Standard ISO 14001 verlangt nach einem Umweltmanagementsystem, das Produkte und erbrachte Dienstleistungen miteinbezieht.

Weitere Blogartikel zum Thema integrierter Managementsysteme: 

Zweittext von Walter Jäggi

Arbeitssicherheit: ISO 45001 und ISO 9001 im Zusammenspiel

Die Lazzarini AG ist in Chur ansässig und zählt rund 250 Mitarbeitenden. Sie war laut Claudio Giovanoli, dem Vorsitzenden der Geschäftsleitung, eine der ersten in der Baubranche, die ein Qualitätsmanagement nach der ISO 9001 einführte. Aufgrund der guten Erfahrungen lässt sich das Unternehmen mittlerweile auch nach den Normen ISO 14001 (Umweltmanagement) und ISO 45001 (Gesundheit und Sicherheit bei der Arbeit) zertifizieren. «Wir hatten das Bedürfnis, trotz vieler Standorte und Sparten im Hoch-, Tief-, Tunnel- und Holzbau sowie der Architektur einheitlich aufzutreten und zu agieren», begründet Giovanoli. Die Digitalisierung dürfte dazu führen, dass mittels der ISO 27001 alsbald auch das Thema Informationssicherheit ins Managementsystem integriert werde.

Die Baubranche zählt traditionell zu den unfallträchtigsten. Die Entwicklung der Anzahl Berufsunfälle ist über alle Branchen hinweg betrachtet positiv, mittlerweile machen die Freizeitunfälle deutlich mehr als die Hälfte aller bei der Suva gemeldeten Unfälle aus. In der Baubranche hingegen ist die Anzahl an Berufsunfällen auch in jüngster Vergangenheit gestiegen. Die Lazzarini AG trotzt dieser Entwicklung, ihre Unfallzahlen sind laut Claudio Giovanoli stark zurückgegangen.

Im Leitbild des Unternehmens steht bei der Arbeitssicherheit und dem Gesundheitsschutz geschrieben: «Unsere Verantwortung gegenüber Mitarbeitern und Mitmenschen steht […] an erster Stelle.» Giovanoli erklärt die positive Entwicklung damit, dass dieser Grundsatz durch konkrete Massnahmen umgesetzt und diese wiederum durch regelmässige interne und externe Audits überprüft werden. Unfälle und Zwischenfälle aller Art werden als Abweichung vom Soll eingestuft. Es gibt dafür ein detailliertes Meldeverfahren und Controlling. Mit Fehlern muss bei der Arbeit gerechnet werden, doch zweimal darf ein Fehler nicht vorkommen. Das Managementsystem der Lazzarini AG verlangt von den Mitarbeitenden deshalb auch bei einem Beinaheunfall eine Meldung, denn daraus können Lehren gezogen werden.

Giovanoli Claudio

Claudio Giovanoli
Vorsitzender der Geschäftsleitung, Lazzarini AG

Räderwerke der Normalität

Die beiden Texte sind gekürzte Fassungen von Artikeln, die im Buch «Räderwerke der Normalität. Wie Normen und Standards Vertrauen schaffen» erschienen sind. Die SQS hat das Buch anlässlich ihres 40-jährigen Bestehens im Verlag NZZ Libro veröffentlicht. Anhand von Grundlagenartikeln und Fallbeispielen zeigt es auf, wie Normen und Standards es Unternehmen erlauben, hohe Erwartungen zuverlässig zu erfüllen – und so zu einer Normalität beitragen, die alles andere als normal ist. Das Buch ist auf Deutsch sowie – als E-Book – auf Englisch, Französisch und Italienisch erschienen.

Gemäss den Erfahrungen der Suva schneiden tatsächlich jene Betriebe am besten ab, die die Sicherheit in ihr Managementsystem integriert haben. Die grösste Schwachstelle ist dann der einzelne Mensch. Bei Audits wird deshalb darauf geachtet, dass die Sicherheitsmassnahmen allen Mitarbeitenden bekannt sind und von allen angewandt werden. Im umfangreichen und detaillierten Handbuch der Lazzarini AG steht geschrieben, dass jeder und jede Einzelne für die Kenntnis und Anwendung der Sicherheitsmassnahmen unmittelbar verantwortlich sei. Das Handbuch ist digital und bezüglich der wichtigsten Kapitel auch auf Italienisch und Portugiesisch verfügbar, damit alle den Zugang zu den Regeln und Vorschriften haben.

Hier kommt wiederum die ISO 9001 ins Spiel: Sie verlangt eine Unité de doctrine, eine einheitliche Denk- und Handlungsweise, die dem Verwaltungsrat ebenso bekannt sein muss wie den Mitarbeitenden in den Büros, auf den Baustellen und Werkhöfen. 

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